Fremdenpolizei 2002
Reneé Winter

Regulierungsbestrebungen
Übersiedlung des fremdenpolizeilichen Büros ins Gebäude des Schubhaftgefängnisses

image


Am 26. November 2002 wurde der Sitz der Wiener Fremdenpolizei von der Wasagasse 20 an den Hernalser Gürtel 6-12 verlegt. Dort befindet sich das Landesgericht II, eines der Wiener Schubhaftgefängnisse. Stefan Stortecky, der Leiter des fremdenpolizeilichen Büros Wien gibt als einen Grund für die Übersiedelung die "bessere Kommunikation zwischen Schubhäftlingen und der Polizei" an.
Die Übersiedlung kann als status quo einer Entwicklung der Aufenthaltsgesetzgebung verstanden werden, in der die Tätigkeiten der Fremdenpolizei tendenziell immer mehr auf sogenannte "aufenthaltsbeendende Maßnahmen" begrenzt und konzentriert wurden. Andere Funktionen wurden und werden schrittweise vom Bund an die Bundesländer - in Wien an die MA 62, später an die MA 20 - und an die Europäische Union abgegeben oder privatisiert.
Bis 1990/91 befand sich die Fremdenpolizei noch im Zentrum der Stadt, in der Bäckerstrasse 13. Dort trafen BeamtInnen unter anderem die Entscheidungen über Anträge auf Erteilung oder Verlängerung von Sichtvermerken, die MigrantInnen entweder direkt im fremdenpolizeilichen Büro oder bei den Bezirkskommissariaten abgaben. Die Gesetze wurden oft in Zusammenhang mit der wechselnden wirtschaftlichen Nachfrage an Arbeitskräften verändert. Viele verstärken Abhängigkeiten. Die Berechtigung zum Aufenthalt war und ist oft an ein bestimmtes Arbeitsverhältnis, die Aufrechterhaltung oder Schließung einer Ehe oder das Wohlwollen von BeamtInnen gebunden.
Diese sich verändernden Kontroll- und egulierungsbestrebungen lassen sich an Gesetzen, Zeitungsmeldungen, Formularen und Schriftverkehr ablesen. MigrantInnen antworteten auf unterschiedlichste Weise auf die staatlichen Regulierungsbestrebungen. Mit Arbeitsplatzwechseln,Demonstrationen, Annahme der österreichischen Staatsbürgerschaft, Versuchen mit den willkürlichen Bestimmungen zu taktieren, sie zu befolgen oder gegen sie zu prozessieren, eine Person mit österreichischer StaatsbürgerInnenschaft zu heiraten, oder auch zurückoder weiterzuwandern.

Fremdenpolizei Video



Abwanderung und TouristInnenbeschäftigung
"Anpassungsfähigkeit des Österreichers an Ausländer"



Mit der „Anpassungsfähigkeit des Österreichers“ argumentierte die Arbeiter-Zeitung 1964, warum „doch eine vergleichsweise große Anzahl von Fremdarbeitern ihrem österreichischen Arbeitgeber die Treue hält und nicht nach Norden auswandert“. Aus Arbeitskräftemangel wurde ebenfalls Anfang der 60er Jahre von Unternehmen erwogen, „die Freizügigkeit der Österreicher gesetzlich zu beschränken“. Der ÖGB war aber gegen ein Ausreiseverbot von ÖsterreicherInnen (Matuschek). 1955 wurde zwischen der Türkei und Österreich ein Abkommen zur visumsfreien Einreise geschlossen, 1965 mit Jugoslawien. Neben dem Anwerbeverfahren konnten MigrantInnen, die als TouristInnen einreisten, damit rechnen jederzeit beschäftigt zu werden.
Gegen jene, die den Arbeitsplatz wechselten, forderten die Unternehmen fremdenpolizeiliche Maßnahmen.




Gesetzliche Regulierungsbestrebungen
"eigene Ausweise, mit Vermerk von Dienstgeber"



Um einen von Unternehmen unkontrollierten Arbeitsplatzwechsel zu verhindern, beschlossen die Wirtschaftskammer Österreich und der Gewerkschaftsbund 1965 die Einführung von Ausweisen, die „gleichzeitig [...] als Gesundheitspass“ dienen sollten. Eingeführt wurden „Ausländer-Arbeitskarten“ und ab 1976 die rosa „Beschäftigungsbewilligungen“. Mit dem Ausländerbeschäftigungsgesetz waren MigrantInnen an eineN
ArbeitgeberIN gebunden und konnten dort für höchstens ein Jahr arbeiten. Der Aufenthalt wurde so über die Arbeitsverhältnisse reguliert.
Die Regulierungsbestrebungen brachten Generationen von Formularen hervor, in denen die Bezeichnung der Personen von „Fremdarbeiter“ über „Ausländer“ und „Gastarbeiter“ auf „Fremde“ wechselte. Auch Meldezettel wurden mit dem Stempel „Ausländer“ versehen.
Eine Regulierung der Zuwanderung war – verstärkt in Zeiten wirtschaftlicher Rezession – vor allem auch eine Forderung des ÖGB.




Restriktionen / Abschiebungen / Illegalisierungen
durchschnittliche Wohnnutzfläche bei 33 m2 pro Person



Die 1955 eingeführte Visafreiheit für Menschen mit türkischem Pass wurde 1991 abgeschafft. Mit dem Aufenthaltsgesetz 1993 wurden unter anderem Fristen für die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen eingeführt. Folglich wurden zahlreiche Menschen aufgrund von „Fristversäumnissen“ illegalisiert. Auch auf dieser Gesetzesgrundlage wurden Anträge auf Aufenthaltsgenehmigungen auf Grund einer „für Inländer
ortsunüblichen Unterkunft“ abgelehnt.
Schon in den 60er Jahren war Abschiebung und ihre Bezahlung geregelt. Die Unternehmen bezahlten die Kosten für die Abschiebung im Voraus mit der Anwerbepauschale.
Am 1. Mai 1999 wurde Marcus Omofuma während seiner Abschiebung in einer Linienmaschine von den drei ihn begleitenden Polizisten getötet. Sie verklebten seinen Körper und Mund mit einem Klebeband. Nach seinem Tod dachte das Innenministerium Abschiebungen in Charterflügen an.




MA 62 und Überfremdungsbescheide
"zur allfälligen Veranlassung an die Fremdenpolizei"



Ab dem 1. Juli 1993 verlagerte sich die Zuständigkeit für „quotenpflichtige“ Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligungen an die Bundesländer. In Wien entschieden 1993 bis 1998 Beamte der MA 62 auf der Grundlage des Aufenthaltsgesetzes über entsprechende Anträge. Die Negativ-Bescheide, die mit „zuwenig Einkommen“, „keine für Inländer ortsübliche Unterkunft“, dem „Grad der Überfremdung“ oder „zuwenig Anpassung an mitteleuropäische Sitten“ argumentierten, enthielten oft die gleichen Textbausteine. Etliche der ablehnenden Entscheidungen gingen als Kopien an die Fremdenpolizei.
MigrantInnen beruften gegen die rassistischen Bescheide – oft in Zusammenarbeit mit Beratungsstellen. Dort wurden sie auch gesammelt und kamen insbesondere über Pressekonferenzen der Wiener Gemeinderätin Maria Vassilakou ins Blickfeld der Medien. Am 1. Jänner 1999 wurde die „Abteilung für fremdenrechtliche Angelegenheiten“ unter neuer Leitung, aber personeller Kontinuität in die Magistratsabteilung 20 verschoben.




Bedeutungsverschiebungen
"warum und wann haben Sie sich zur Heirat entschlossen?"



Mit den wechselnden Gesetzgebungen veränderten sich auch Bedeutungen und Bewertungen von Begriffen.
„FluchthelferInnen“ oder „Schutzehe“ sind Begriffe, die veränderbar sind und gleichzeitig einen gewissen Blickwinkel einnehmen. Aus anderer Perspektive wird auch von „Schleppern“ oder „Scheinehe“ gesprochen.