Anwerbestelle Narmanlı Han 1964
Dilman Muradoglu, Gamze Ongan

Anwerbung
Eröffnung des Büros der österreichischen Anwerbekommission in der Türkei

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In Narmanlı Han, einem historischen Gebäude aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im İstanbuler Jugendstilviertel Beyoğlu, erfolgte für viele ArbeitsmigrantInnen aus der Türkei die erste Begegnung mit Österreich. Hier war der Sitz der “Türkiyede Görevli Avusturya işçi Alma Komisyonu” – der Österreichischen Anwerbekommission in der Türkei. Sie nahm im Jahre 1964 nach der Unterzeichnung des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Türkischen Republik über die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte ihre Arbeit auf.

Schon seit 1962 konnten Arbeitskräfte aus der Türkei durch eine Überbrückungsvereinbarung über die Österreichische Außenhandelsstelle in İstanbul angeworben werden. Doch erst die Einrichtung einer aktiven Anwerbekommission vor Ort machte gezielte Rekrutierung, sowie Kontrolle und Regulierung der Arbeitsmigration aus der Türkei möglich.

Die Aufgabe der Kommission in İstanbul bestand in der Beschaffung von Arbeitskräften für den österreichischen Arbeitsmarkt in Zusammenarbeit mit den türkischen Arbeitsmarktbehörden. Die Anforderungen der österreichischen Wirtschaft wurden von der Anwerbekommission an die türkische Arbeitsvermittlungsanstalt weitergegeben. Diese suchte mögliche KandidatInnen aus den langen Wartelisten arbeitsloser Menschen nach bestimmen Kriterien wie Alter, berufliche Qualifikation und Gesundheit aus. Die Anwerbekommission stellte ihrerseits fest, ob die BewerberInnen die Voraussetzungen für eine Beschäftigung in Österreich erfüllten, und sie überprüfte ein zweites Mal, ob ihre gesundheitliche und fachliche Eignung für die angebotene Arbeit ausreichend war. Die endgültige Reise der Angeworbenen nach Österreich lag ebenso in der Hand der Kommission.

Im Jahr 1993 schloss die Österreichische Anwerbekommission ihre Pforten. Heute leben in dem 170 Jahre alten Haus Narmanlı Han nur mehr eine alte Frau mit ihren 50 Katzen und die Familie des ehemaligen Hausmeisters Raşit Şahin, der 98jährig im Oktober 2003 verstarb. Die Büroräume der Österreichischen Anwerbekommission stehen leer. Auf Grund eines Rechtsstreits zwischen den HauseigentümerInnen und dem Denkmalschutzamt ist die Zukunft des mittlerweile einsturzgefährdeten Hauses ungewiss.

Anwerbung Video




Sitz der Anwerbekommission
"für das derzeitige Anwerbevolumen nicht geeignet"



Aus Einsparungsgründen wurden im August 1968 die Kommissionen in İstanbul und Belgrad aufgelassen. Die Anwerbung sollte über die Österreichische Außenhandelsstelle abgewickelt werden. Die Entscheidung wurde jedoch 1969 auf Grund der Einwände des türkischen Arbeitsministeriums und des steigenden Bedarfs an Arbeitskräften rückgängig gemacht und es wurden wieder in Narmanlı Han zwei kleine Räume gemietet.1970 übersiedelte die Kommission in ein von der deutschen Verbindungsstelle zur Anwerbung verlassenes Haus in Serçe Sokak, eine Handwerkergasse im Hafenviertel Karaköy. In unmittelbarer Nähe des türkischen Arbeitsamtes ließ auch hier die Infrastruktur zu wünschen übrig. Es gab kein Wartegelände für die täglich vorsprechenden ca. 400 BewerberInnen und keine „Sammelstelle“ für die „Abfahrbereiten“. In den Werkstätten von Serçe Sokak etablierten sich Fotografen, Übersetzer und „Vermittler“, die gegen Bezahlung die notwendigen Formalitäten erledigten oder es zumindest vorgaben.



Abwicklung der Anwerbung
"bitte um 4 bis 5 türkische Maurer"



Das Raab-Olah Abkommen von 1961 zwischen der Bundes-wirtschaftskammer und dem Gewerkschaftsbund legte den Grundstein für die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte zum österreichischen Arbeitsmarkt. Die jährlich nach Branchen festzulegenden Kontingente sollten die Beschäftigung von AusländerInnen ohne jeweilige Prüfung der Arbeitsmarktlage ermöglichen. Die Wirtschaftskammer gründete noch im selben Jahr die Arbeitsgemeinschaft für die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte. Es folgten Anwerbeabkommen mit Spanien (1962), der Türkei (1964) und Jugoslawien (1966) und die Errichtung von Anwerbekommissionen in Madrid, İstanbul und Belgrad. Die Firmen beantragten beim zuständigen Arbeitsamt die Ausstellung einer Zusicherungsbescheinigung, füllten Auftragsformulare und Arbeitsverträge aus und übermittelten diese an die Arbeitsgemeinschaft. Zur Deckung der Anwerbekosten war pro Arbeitskraft eine Anwerbepauschale zu entrichten. Nach Vollendung dieser Schritte leitete die Arbeitsgemeinschaft den Firmenauftrag an die Kommissionen weiter.



Fachliche Eignungstests und Gesundheitsuntersuchungen
"behauptet ein Türke, Schweisser zu sein"



Nach Einlangen des Firmenauftrags aus Wien beauftragte die Anwerbekommission ihrerseits das türkische Arbeitsamt, innerhalb von zwei Wochen Arbeitskräfte vorzuschlagen. Das Arbeitsamt suchte aus den Wartelisten Personen aus, die den vorgegebenen Kriterien wie Altersgrenze, berufliche Fähigkeiten und Gesundheit entsprachen. Bei den fachlichen Eignungstests waren oft Kommissions- oder Firmenvertreter anwesend. Ein Teil der Gesundheitsuntersuchungen (Blut-, Reihen- und Röntgenuntersuchung) wurde von einer türkischen Untersuchungsstelle durchgeführt, die Kosten trug der/die ArbeiterIn. Die abschließende Stuhl- und Eignungsuntersuchung wurde von Ärzten der Kommission vorgenommen und bei Tauglichkeit ein Infektionsfreiheitsschein ausgestellt. Im gesamten Ablauf kam jede/r ArbeiterIn fünfmal in die Kommission.



Transport der Arbeitskräfte
"die Kommission ist kein Reisebüro!"



Der Transport der abfahrbereiten ArbeiterInnen wurde nach der Gruppengröße organisiert. Ab 70 Personen wurden bei der türkischen Bahnverwaltung eigene Waggons bestellt. In der Ballungszeit zwischen März und Mai (Frühjahrsanwerbung) wurden Sonderzüge organisiert. Weitere Schritte waren die Erstellung von Transportlisten, Bereitsstellung von Verpflegungspaketen und die Bestellung von Platzkarten im Wiener Waggon Nr. 335. Die Bahnfahrt dauerte zwei volle Tage. Vertreter der Arbeitsgemeinschaft und der Firmen holten die ArbeiterInnen am Südbahnhof ab. Die Weiterfahrt in die Bundesländer organisierte die Arbeitsgemeinschaft in Kooperation mit dem Reisbüro Primus.



Beziehungen mit den Entsendeländern
"das Ringen um die ArbeiterInnen"



Auch die Entsendeländer zeigten Interesse an der Regulierung der Arbeitsmigration. Es ging vor allem um die gezielte Reduzierung der eigenen Arbeitslosenzahlen und um die Steigerung des Devisenvolumens durch die ArbeitsmigrantInnen. Sie kritisierten die Praktiken der Anwerbeländer, und vor allem der Firmen, deren niedrige Lohnkosten oder illegale Anwerbung, und drohten mit der Einstellung der Vermittlung von Arbeitskräften. Die sogenannte namentliche Anwerbung, bei der Verwandte und Bekannte der schon in Österreich beschäftigten Arbeitskräfte ins Land geholt wurden, wurde je nach innenpolitischer Lage immer wieder eingeschränkt oder aufgehoben. Auch die Selbstanwerbung der Firmen, bei der alle Kosten die ArbeitnehmerInnen trugen, war nicht gern gesehen.



Anwerber und Angeworbene
"Irritationen beiderseits"



- entgegen meiner Abneigung gegen türkische Fremdarbeiter
zukünftiger Arbeitgeber
- Wozu haben Sie mich hierher geschickt?
Arbeitsmigrant